PODIUMSDISKUSSION: „Gleichstellung in der Wirtschaft – Quo Vadis?“ Status Quo und Perspektiven der „Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft“
Gemeinsame Veranstaltung der ÜPFI mit der interfraktionellen Frauengruppe im Bundestag und dem Genderkompetenzzentrum der Humboldt Universität Berlin.
Impulsreferat von Prof. Dr. Susanne Baer, Direktorin des Genderkompetenzzentrums der Humboldt Universität Berlin
Nachfolgend Podiumsdiskussion mit:
- Ingrid Hofmann (Präsidium der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände)
- Christiane Wilke, Leiterin für Frauen- und Gleichstellungspolitik bei der Industriegewerkschaft Metall (IGM)
- Dr. Renate Ortlieb (Mitautorin des 1. Berichts zur Umsetzung der freiwilligen Vereinbarung, Institut für Management, FU Berlin)
- Brigitte Unger-Soyka, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- Moderation: Bascha Mika (Chefredakteurin der Tageszeitung – taz)
am: Mittwoch, 23. Februar 2005 im Berliner Abgeordnetenhaus
Im Jahr 2001 haben die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft und die Bundesregierung eine freiwillige Vereinbarung zur Gleichstellung geschlossen. Die bisherigen Ergebnisse und die Formulierung weiterer Ziele waren Thema der Podiumsdiskussion, zu der die Überparteiliche Fraueninitiative Berlin (ÜPFI), die interfraktionelle Frauengruppe des Bundestages und das Gender Kompetenz-Zentrum der Humboldt-Universität in den Festsaal des Berliner Abgeordnetenhauses eingeladen hatten.
Den Optimismus von Frau Unger-Soyka, Abteilungsleiterin Gleichstellung im BMFSFJ und Frau Hofmann, BDA, dass sich die Situation von Frauen in der freien Wirtschaft nun – nach dem Vorliegen von ersten Daten und viel Überzeugungsarbeit in hochrangigen Gesprächen zwischen dem Ministerium und Vertretern der Wirtschaftsverbände – verbessern würde, mochten die meisten der 90 Teilnehmer/innen im Publikum nicht teilen.
„Nur etwa die Hälfte der Unternehmen kennt die Vereinbarung überhaupt“, sagte Renate Ortlieb von der Freien Universität Berlin und Mitautorin des Berichts zur Umsetzung der freiwilligen Vereinbarung. Ein Großteil der Betriebe sehe darüber hinaus überhaupt keinen Bedarf, Maßnahmen zur Gleichstellung durchzuführen, so Ortlieb. Ein verbindliches Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft mit Sanktionen bei Nichteinhaltung muss her, meinte auch Christiane Wilke, Leiterin für Frauen- und Gleichstellungspolitik bei der Industriegewerkschaft Metall (IGM) und wurde darin u. a. von Sibyll Klotz, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus unterstützt. Falschparken ohne Ordnungsstrafe führe ja schließlich auch zu nichts, sagte Klotz und betonte, dass Sanktionen in der Regel dann akzeptiert werden, wenn dadurch anerkanntes gesellschaftliches Verhalten durchgesetzt wird.
Davor, das Thema auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu reduzieren, warnte Professor Susanne Baer, Direktorin des Berliner Genderkompetenzzentrums an der Humboldt Universität. Gender Mainstreaming in der Wirtschaft umfasst für sie deutlich mehr als die Forderung nach angemessener Kinderbetreuung und die Frage nach dem Prozentsatz von Frauen in Führungspositionen. Sie plädierte dafür, Gender als komplexe Kategorie zu betrachten und auch Faktoren wie soziale Zugehörigkeit, Rasse, Bildungsstand etc. einzubeziehen. Außerdem genügt ihr auch der Ruf nach Gesetzen allein nicht. So seien Lohndiskriminierungen und sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz heute schon ausreichend gesetzlich geregelt. Der gerichtliche Weg würde jedoch immer erst dann gegangen, wenn der Job schon weg ist, so Baer. Im letzten Jahr gab es denn auch nur ganze zwei Klagen von Betroffenen zu diesem Themenkomplex. Carola Braun, Sprecherin der Überparteilichen Fraueninitiative regte in diesem Zusammenhang die Möglichkeit von Verbandsklagen an.
Eine zweite Chance will Anke Domscheit, Vorstandsmitglied der ÜPFI, der freiwilligen Vereinbarung geben: eine neue Version der Vereinbarung, diesmal mit festen Zielvorgaben soll her, so Domscheit. Sie gab ihrer
Verwunderung Ausdruck darüber, wie schwierig sich die Wirtschaft damit tut, sich messbare Ziele für Resultate im Bereich Chancengleichheit zu setzen. Eine Zurückhaltung, die die Firmen in der Regel nicht haben, wenn es um Marktanteile oder Umsatzziele geht. Diese Hemmung reflektiere jedoch auch den Grad an Ersthaftigkeit, mit sich Firmen dieser Herausforderung stellten.
Als beispielhaft nannte Domscheit Norwegen. Dort habe schon die Androhung eines Gleich-stellungsgesetzes den Frauenanteil in den Vorständen der börsennotierten Unternehmen von sechs auf 22 Prozent wachsen lassen – und das innerhalb von 1,5 Jahren.
Die interfraktionelle Frauengruppe im Bundestag war mit den frauenpolitischen Sprecherinnen aller Fraktionen anwesend: Irmingard Schewe-Gerigk (B90G), Christel Humme (SPD), Maria Böhmer (CDU), Ina Lenke (FDP).
Die Veranstaltung schloss mit einem kleinen Empfang, bei dem die Teilnehmerinnen die lebhafte Diskussion fortsetzten.
Bericht: Petra Tesch