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Kongress:
Gleichberechtigung, Verfassung und Verfassungswirklichkeit in Deutschland

aus Anlass des 10jährigen Bestehens der Überparteilichen Fraueninitiative Berlin - Stadt der Frauen am 23.8.2002 im Berliner Abgeordnetenhaus


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"Eine Schlacht ist nie geschlagen ..."

Ca. 150 Teilnehmerinnen verfolgten am 23. August 2002 den Kongress "Gleichberechtigung - Verfassung und Verfassungswirklichkeit in Deutschland" aus Anlass des 10jährigen Bestehens der Überparteilichen Fraueninitiative Berlin - Stadt der Frauen, im Abgeordnetenhaus von Berlin.

Der Titel des Kongresses war Programm: 53 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sollte Bilanz gezogen werden, inwiefern Artikel 3 "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" und der seit 1974 geltende Zusatz und aktive Handlungsauftrag "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." in der politischen und gesellschaftlichen Praxis verankert wurden. Der 10. Geburtstag der "ÜPFI" war zudem Anlass, Erfolge überparteilicher Zusammenarbeit und gemeinsamer parlamentarischer und außerparlamentarischer Aktivitäten für Fraueninteressen zu benennen und neue Möglichkeiten für die Zusammenarbeit zu erkunden.

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Jutta Limbach, Juliane von Friesen
Prof. Dr. Jutta Limbach und
Moderatorin Juliane von Friesen, Senatorin a. D.

Jutta Limbach

Jutta Limbach begrüßte im ersten Tagesreferat, die Kongressteilnehmerinnen mit "Liebe Ladies" (der gewohnten Anrede, für die, die sie schon mehrfach erlebt hatten). Bereits die Anmoderation von Juliane Freifrau von Friesen, Berliner Senatorin a. D., hatte deutlich gemacht, dass es für Frauen nach wie vor nicht selbstverständlich ist, in solche Spitzenpositionen zu gelangen, wie sie Jutta Limbach, u. a. als Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichts erreicht hatte. Dass das nicht nur am individuellen "Wollen" der Frauen selbst, sondern vor allem an den politischen Strukturen liegt, zeigte Limbach u. a. am Beispiel von Finnland, wo jedes hohe politische Amt schon einmal durch eine Frau besetzt war. In ihrer pointierten, witzigen und kompetenten Art benannte sie Erfolge und namentlich auch die Frauen, die sie erreicht hatten und widerlegte damit die oft gehörte These, einzelne Frauen in Spitzenpositionen änderten ja auch nichts.

Zum Schmunzeln brachte die Zuhöherinnen die Aufzählung einiger haarsträubender Absurditäten auf dem Weg zum Erreichten: So wurde Teilzeitarbeit im öffentlichen Dienst für Frauen lange Zeit mit dem Argument abgelehnt, die dann nur halbe Alimentierung ließe keine ausreichende Versorgung der öffentlich bediensteten Frauen zu. Nicht weniger fragwürdig: Eine Umfrage unter erfolgreichen Politikerinnen hatte ergeben, dass die Bereitstellung von Kinderbetreuung keine zwingende Voraussetzung für ihre Karriere sei. Kein Wunder, wenn die Befragten zum Zeitpunkt der Befragung die 40 bereits weit überschritten und keine Kinder mehr im Haushalt hatten!

Eine Formulierung von Gesetzestexten mit ausschließlich weiblichen Personenbezeichnungen schlug Prof. Limbach vor, um Männer dazu zu bewegen, letztendlich einer an Frauen und Männer gleichermaßen gerichteten Ansprache zuzustimmen oder wahlweise, die abwechselnde ausschließlich weibliche oder männliche Ansprache in einem Gesetzestext mit gerader bzw. ungerader Numerierung.

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Christine Bergmann, Elke Herer

BM Dr. Christine Bergmann und Moderatorin Elke Herer

Christine Bergmann

Keinen Zweifel an den Erfolgen von Frauenbewegung und parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit ließ auch BM Dr. Christine Bergmann in ihrem Referat. Sie berichtete über die neueste Shell-Jugendstudie und eines der Ergebnisse daraus, dass "die Entwicklung der Jugend hin zu einer pragmatischen und leistungsorientierten Generation ... in besonderem Maß von Mädchen und jungen Frauen getragen" wird. "Sie haben im Bereich der Schulbildung die Jungen überholt und sind nicht mehr bereit, das Feld den jungen Männern zu überlassen." Macht, Einfluss und Karriere seien erstrebenswerte Ziele für Mädchen und jungen Frauen", meinte BM Bergmann und berichtete, dass 49% der jungen Frauen sagten, dass Frauen zur Durchsetzung ihrer Interessen eine Frauenbewegung bräuchten und 73% laut Studie auf dem Standpunkt stünden, Frauen sollten sich organisieren, um ihre Interessen zu vertreten. Und sie berichtete über eine stattliche Anzahl von Verbesserungen, die die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode habe durchsetzen können. Allesamt gute Voraussetzungen dafür, dass das 21. Jahrhundert den Frauen gehöre, wie Zukunftsforscher Mathias Horx vor zwei Jahren analysierte . "Hoffentlich nicht erst am Ende", fügte Bergmann hinzu und zählte deshalb auch auf, was noch nicht erreicht wurde: Der Einkommens- und Rentenunterschied zwischen Frauen und Männern ist in Deutschland nach wie vor signifikant, fehlende Kinderbetreuungsangebote erschweren Beschäftigung bzw. Vollzeitbeschäftigung von Frauen, und auch, was Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft anbelangt, findet sich Deutschland europaweit auf den hintersten Plätzen wieder.

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Rita Süßmuth, Carola von Braun

Bundestagspräsidentin a. D. Prof. Rita Süßmuth
und Carola von Braun, Sprecherin der Überparteilichen Fraueninitiative

Rita Süßmuth
     

Prof. Rita Süßmuth, langjährige Präsidentin des Deutschen Bundestages, verwies auf die großen Erfolge der Frauenbewegung, warnte aber auch vor den wachsenden Rollback-Gefahren; langanhaltender Beifall des Publikums dankte der scheidenden Bundespolitikerin, die sich Respekt in allen politischen Lagern der Frauenbewegung erworben hat.

Auch in der Diskussion mit den Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen wurde deutlich, dass Fraueninteressen noch keineswegs selbstverständlich Eingang in alle Politikbereiche gefunden haben. So gab es in der "Hartz-Kommission" nur eine Frau, erst mehrfache Aufforderungen des Deutschen Frauenrats und des Deutschen Juristinnenbundes haben zu Nachbesserungen im Bereich Vermittelbarkeit von Müttern geführt. Punkte, wie die eigenständige Altersabsicherung von Frauen bei geringfügiger Beschäftigung, die Förderung von Servicegesellschaften im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen sowie die Anerkennung von Kinderbetreuung als nicht geringfügig sind nach wie vor nicht zufriedenstellend geklärt. Kritisiert wurde einmütig, dass auch in der Entwicklung der Europäischen Grundrechte-Charta, bei der Beteiligung am Verfassungskonvent Frauen praktisch nicht beteiligt würden.

 

      Podium der Bundestagsabgeordneten
Bundestagsabgeordnete und -kandidatin bei der Diskussion
     

Dass es durchaus weiteren Spielraum in der überfraktionellen Arbeit des Deutschen Bundestags gibt, machten die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Petra Bläss, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags(PDS) am Beispiel des unzureichenden Ergebnisses der Rentenreform für die Belange von Frauen deutlich. Einverständnis gab es auf dem Podium darüber, dass die Frauenbewegung wieder zu dem intellektuell und gesellschaftlich attraktiven Diskussionsforum werden müsse, das sie früher geboten habe und darüber - wie Mechthild Rawert, Bundestagskandidatin der SPD und Vorsitzende der ASF Berlins aus eigener Erfahrung beitrug - dass überparteiliche Zusammenarbeit sich gerade in dieser Zielsetzung lohne. Petra Bläss berichtete über die Erfolge der interfraktionellen Fraueninitiative des Deutschen Bundestages, wies aber auch darauf hin, dass Gleichberechtigungspolitik "keine Lorbeeren" in der Politik bringe, im Gegenteil. Trotzdem sei es eine Frage der Demokratiequalität, dass Frauen mehr an der Demokratiegestaltung beteiligt werden müssten. Überparteiliche Zusammenarbeit sei vorstellbar und sinnvoll auch bei anderen Themen, wie z.B. beim Thema Integrationsangebote für Zugewanderte oder bei den Fragen der Definition und den Beteiligungsformen der Zivilgesellschaft (Rawert). Monika Knoche, scheidende Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen beklagte, dass der Kampf um Gleichberechtigung von Frauen und Männern nicht mit einer grundsätzlichen Demokratisierung verbunden wurde, was u. a. am EuGH-Urteil zum Wehrdienst von Frauen mit der Waffe sichtbar würde. Auch bei ihr bedankten sich die Kongressteilnehmerinnen mit Beifall und in der Hoffung, dass sie ihre Konzepte und Ideen künftig in anderen Bereichen weiter verfolge.

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Wie wichtig gemeinsame Aktionen über Parteigrenzen hinweg sind, zeigte sich am Nachmittag in der Diskussion auf landespolitischer Ebene zum Thema "Gender Mainstreaming", das - obwohl in der Berliner Koalitionsvereinbarung als Politikziel benannt - noch nicht wirklich Eingang in die praktische Landespolitik gefunden hat. PodiumsteilnehmerInnen waren die frauenpolitischen SprecherInnen der Abgeordnetenhaus-Fraktionen und Gisela Vollradt, die hier als Gründungsmitglied des FFBIZ stellvertretend für die Frauenprojekte sprach. Es gab Einvernehmen darüber, dass die Umsetzung des Gender-Mainstreaming in der Verwaltung erhebliche Kraftanstrengungen kosten würde. Unterschiedliche Auffassungen gab es über den besten Weg dorthin. Während Sybil Klotz vorschlug, dass der Versuch zunächst in einer Verwaltung modellhaft ausprobiert werden sollte, vertrat Renè Stadtkewitz, einziger Mann auf dem Podium und frauenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, die Auffassung, dass das Vorhaben von allen Verwaltungen gleichzeitig angepackt werden müsse. Sybille Meister, Sprecherin der FDP-Fraktion, unterstützte die Zielsetzung des Gendermainstreaming, zeigte aber auch die handfesten Details auf, an denen die Umsetzung von Gendermainstreaming scheitern kann, z.B. an den Öffnungszeiten der Kindertagesstätten für Frauen aus Schichtdienstberufen. Evrim Baba (PDS) und Ulrike Neumann (SPD), als Vertreterinnen der Regierungsfraktionen, erläuterten die Ziele der Senatspolitik und betonten in diesem Zusammenhang die Chancen, die sich aus dem Ressortzuschnitt Wirtschaft, Arbeit und Frauen ergäben. Gisela Vollradt verwies auf die Erfolgsgeschichte der Neuen Frauenbewegung, für die das Bewusstsein verstärkt werden müsse; in Zukunft sollten die NGO`s wie z.B. ATTAC stärker in die Überparteiliche Zusammenarbeit einbezogen werden. In einem weiteren Punkt waren sich die Podiumsteilnehmerinnen sich einig: dass überparteiliche Zusammenarbeit wichtig, aber auf der konkreten Umsetzungsebene des Landes und der Kommune, schwerer durchzuhalten sei.

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      Podium der frauenpolitischen SprecherInnen des AGH
Frauenpolitische SprecherInnen der Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus
und NGO-Vertreterin Gisela Vollradt bei der Diskussion
     

Dass Frauen die vierte Macht im Staat - die Bastion der Medien - trotz steigender Zahlen von Frauen im politischen Journalismus und des Flagschiffs Christiansen/Illner noch nicht erklommen haben, wurde im Abschlussreferat von Ulrike Helwerth, der ehrenamtlichen Vorsitzenden des Journalistinnenbundes, deutlich. Sowohl als Macherinnen, aber auch als Subjekte der Darstellung in den Medien sind sie nach wie vor unterrepräsentiert und über sie wird immer noch Anderes und anders berichtet, als über Männer. Die Frage, ob Frauen Journalismus anders machen als Männer, beantwortete sie mit einem klaren "Jein". Trotz der im September 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Peking vorgestellten Aktionsplattform "Women and Media" und des darin formulierten strategischen Ziels der "Erhöhung der Mitwirkung und des Zugangs von Frauen in Bezug auf Ausdrucksmöglichkeiten und Entscheidungsprozesse in und durch die Medien und neuen Kommunikationsmöglichkeiten" und der "Förderung der ausgewogenen und nicht stereotypen Darstellung von Frauen in den Medien" wiederhole sich zu ihrem und dem Frust vieler ihrer Kollerginnen allsonntäglich das gleiche Bild: Frau Christiansen sitzt mit einem weit überwiegend männlichen Ensemble der immer gleichen Hauptdarsteller zusammen und diskutiert Deutschlands Politik.

      Ulrike Helwerth, Ina Krauss
Ulrike Helwerth, Vorsitzende des Journalistinnenbundes
und Moderatorin Ina Krauss

Ulrike Helwerth
     

Dass Frauen die vierte Macht im Staat - die Bastion der Medien - trotz steigender Zahlen von Frauen im politischen Journalismus und des Flagschiffs Christiansen/Illner noch nicht erklommen haben, wurde im Abschlussreferat von Ulrike Helwerth, der Vorsitzenden des Journalistinnenbundes, deutlich. Sowohl als Macherinnen, aber auch als Subjekte der Darstellung in den Medien sind sie nach wie vor unterrepräsentiert und über sie wird immer noch Anderes und anders berichtet, als über Männer. Trotz der im September 1995 auf der Weltfrauenkonferenz in Peking vorgestellten Aktionsplattform "Women and Media" und der darin formulierten strategischen Ziele wiederhole sich zu ihrem und dem Frust vieler ihrer Kolleginnen allsonntäglich das gleiche Bild: Sabine Christiansen sitzt mit einem weit überwiegend männlichen Ensemble der immer gleichen Hauptdarsteller zusammen und diskutiert Deutschlands Politik.

"Eine Schlacht ist nie geschlagen. Auch wenn es zunächst vielleicht so aussehen mag", dieses Zitat von Jutta Limbach auf dem Kongress ist ein Fazit der Veranstaltung. Die Frauenbewegung, die sich in den letzten Jahren organisiert und professionalisiert hat, wird dazu weiter gebraucht. Und - wenn die Anzeichen auch auf diesem Kongress nicht trügen - dann wächst das Engagement und das Interesse von Frauen daran wieder.

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Autorinnen: Carola von Braun und Petra Tesch, Fotos: Birgit Hartigs, Überparteiliche Fraueninitiative
(Hinweis für die Presse: Der Bericht kann frei für eventuelle Veröffentlichungen benutzt werden, solange Carola von Braun oder Petra Tesch über die Veröffentlichung informiert wird. Belegexemplar erbeten.)